Früher war nicht alles besser

Früher war nicht alles besser

Zukunftsforscher Professor Dr. Reinhardt spricht vor mehr als 90 Gästen des Unternehmer-Frühstück.

„Früher war alles besser!“ Mit dieser seit Jahrzehnten immer wieder bemühten Aussage räumte Professor Dr. Ulrich Reinhardt beim jüngsten Unternehmer*innen-Frühstück auf. Der Zukunftswissenschaftler sprach am vergangenen Donnerstag (28. März) in der Scala des Victoria-Hotels vor mehr als 90 Gästen. Erneut waren zahlreiche Vertreter*innen von Unternehmen, Verwaltungen, Verbänden, Politik und der Mindener Bildungslandschaft der Einladung der Stadt Minden und der Mindener Entwicklungs- und Wirtschaftsförderungsgesellsch<wbr />aft (MEW) gefolgt. Gleich zu Beginn bekamen die Gäste den neuen Mindener Imagefilm zu sehen, für den es spontan großen Applaus gab.

Bürgermeister Michael Jäcke begrüßte die Gäste und stellte Jens Walsemann, neuer Manager des im Bau befindlichen Mindener Innovations- und Technologiezentrums (M.I.T.), vor. Das Gründer*innen-Zentrum soll im Herbst an den Start gehen. Geplant sind hier 18 Arbeitsplätze in einer großzügigen Co-Working-Area, ein großer Konferenzbereich sowie Einzel-Büros für die Startups. Das Zentrum soll als Impulsgeber für eine innovative und nachhaltige Entwicklung in der Stadt und der Region wirken sowie Existenzgründungen vorantreiben. Unterstützt wird das Zentrum durch den Förderverein M.I.T. e. V., dem unter anderem zahlreiche Mindener Unternehmen angehören. Sie können die Gründer*innen aber auch als „Business-Angels“ begleiten und fördern, warb Michael Jäcke.

Früher war alles besser? – „Nein“, lautete die klare Antwort von Prof. Dr. Ulrich Reinhardt zu Beginn seines knapp einstündigen Vortrags. Er ist Professor für empirische Zukunftsforschung an der Fachhochschule Westküste in Heide (Schleswig-Holstein) und wissenschaftlicher Leiter der „BAT-Stiftung für Zukunftsfragen – eine Initiative von British American Tobacco“. Der Titel seines Vortrags vor den Gästen des Mindener Unternehmer*innen-Frühstücks lautete: „Deutschlands Zukunft. Was kommt? Was bleibt? Was geht?“

Zur Untermauerung seiner These, warum früher nicht alles besser war, hatte Reinhardt zahlreiche Beispiele mitgebracht. So ist im Vergleich von 1990 zu 2016 die weltweite, extreme Armut von 47 auf 9 Prozent gesunken, hat sich Kindersterblichkeit von 90 auf 34 Kinder auf 1.000 Geburten verringert, gibt es weltweit weniger kriegerische Konflikte – 63 (1990) zu 32 (2016) – und es können deutlich mehr Menschen lesen und schreiben: 1990 waren 32 Prozent der Weltbevölkerung Analphabeten, 2017 konnten nur noch 10 Prozent weder lesen noch schreiben.<s>
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Positiv auch: In der Bundesrepublik Deutschland gibt es immer mehr Schüler*innen, die Abitur machen (aktuell 58 Prozent). Es hat sich die Zahl der Beschäftigten von 38,7 Millionen (1990) auf 44,6 Millionen (2018) erhöht und es ist die Zahl der Arbeitslosen von 11,7 Prozent (2005) auf aktuell 4,9 Prozent gesunken. Auch das frei
verfügbare Einkommen pro Person ist von 11.137 Euro (1991) auf 21.881 Euro (2016) pro Jahr gestiegen. Die Menschen haben pro Haushalt immer mehr Einkommen zur Verfügung - durchschnittlich sind es 3.180 Euro. Das alles habe sich fraglos verbessert.

Aber: Es gibt weniger Kinder (aktuell nur noch 1,51 Kinder je Frau) und sie werden auch immer älter. „Jedes dritte der heute geborenen Mädchen in Deutschland hat eine Lebenserwartung von 100 Jahren“, so Prof. Dr. Reinhardt. Das werfe natürlich auch Probleme in der künftigen Finanzierung der Rente – immer weniger Arbeitnehmer*innen müssen immer mehr Rentner*innen finanzieren – und auch bei der Pflege der Älteren auf, so der Experte. Bedenklich: Es gibt in Zukunft immer weniger Auszubildende. Heute sind es noch 20,1 Prozent, 2030 werden es nur noch 18,4 Prozent sein. Erwerbstätige gibt es jetzt 41,6 Prozent (2030: 35,9 Prozent) sowie Rentner*innen jetzt 14 Prozent und 2030 22,2 Prozent.

Viel Angst spiele in der Frage mit, warum die Deutschen immer weniger Kinder bekommen. So werden als Gründe genannt, dass Kinder zu viel Geld und Zeit kosten, sich die Karriere mit Nachwuchs schlecht vereinbaren lässt und es an staatlichen/gesellschaftlichen<wbr /> Voraussetzungen fehlt. Auch stellten Kinder für viele keinen erfüllenden Lebensinhalt dar. Für Frauen ist die Wahl des richtigen Partners besonders wichtig und sie haben mehrheitlich Angst vor Scheidung und Alleinerziehung. 27 Prozent gaben an, dass es nie den richtigen Zeitpunkt für die Nachwuchs-Entscheidung geben hat und 46 Prozent meinen, dass sie für ihre Kinder keine sichere Zukunft sehen. Ein weiterer Fakt: Je gebildeter die Frau sei, umso weniger Kinder hat sie.

Auch eine weitere, viel geäußerte Behauptung nahm Prof. Dr. Reinhardt „auseinander“: „Ich habe mein halbes Leben nur gearbeitet“, stimmt bei Weitem nicht. Ein Mensch, der 42 Jahre beschäftigt war, kommt insgesamt auf nur 10 Prozent Arbeitszeit in seinem Leben. Von den 8.760 verfügbaren Stunden pro Jahr arbeite ein Mensch in Vollzeitbeschäftigung durchschnittlich 1.637 Stunden pro Jahr (= 19 Prozent). Er schläft 2.606 Stunden, hat 2.537 Stunden Freizeit und verbringt 1.977 Stunden für Wege von und zur Arbeit, Einkäufe, Körperpflege und Essen. Interessant war für die Zuhörer*innen auch die Aussage, dass nur 15 Prozent aller Arbeitsplätze (vor allem in der Industrie) einem hohen Risiko durch technologischem Wandel ausgesetzt sind. „Roboter nehmen also den meisten Beschäftigen keine Arbeit weg“, schlussfolgert Reinhardt.

Positiv in die Zukunft blickt die jüngere Generation. 67 Prozent der Befragten möchten in ihrem Arbeitsleben „etwas tun und leisten, was Sinn hat und Spaß macht“. 75 Prozent der 14- bis 34-Jährigen stimmten der Aussage zu: „Für mich sind Ehe, Kinder und Familie, eine Aufgabe, für die es zu leben lohnt.“ Und überhaupt steht die Familie für alle Bundesbürger*innen über allem. Für 90 Prozent aller Befragten ist die Familie das Wichtigste im Leben. Was ebenfalls Hoffnung für die Zukunft gebe: 58 Prozent aller Befragten sagten, dass man den Menschen vertrauen kann. 2000 waren es nur 36 Prozent.

Interessant war auch das Ergebnis auf die Frage: „Wo würden Sie lieber leben wollen – in der Vergangenheit oder Zukunft?“ Vor allem die Menschen über 55 Jahren antworteten mehrheitlich (70 Prozent) in der Vergangenheit. Bei den 14- bis 34-Jährigen ist das Verhältnis genau umgekehrt: Von ihnen möchten 70 Prozent lieber in der Zukunft leben. In der Gruppe der 35- bis 54-Jährigen ist das Verhältnis nahezu ausgeglichen. In der Einschätzung, ob die Kluft zwischen Arm und Reich bis 2030 kleiner geworden ist, blickten ebenfalls die Jüngeren positiver in Zukunft: 14 Prozent sind davon überzeugt, dass das so eintritt, bei den über 55-Jährigen sind nur acht Prozent davon überzeugt.

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